Die zwei Herzratenvariabilitäts-Parameter SD1 und SD2 lassen sich sehr anschaulich anhand des Poincaré-Diagramms erklären. Die Zahlenreihen werden bei dem nicht-linearen Verfahren in ein geometrisches Muster umgesetzt. Die daraus entstehende Punktwolke ist sehr beliebt, weil auf einen Blick bereits eine Interpretation anhand der Form und Streuung möglich ist. Mit etwas Fantasie lassen sich grob vier Formen unterschieden: eine Galaxis, ein Komet, eine Zigarre oder nur eine kleine, runde Scheibe aus vielen Punkten.
Poincaré-Diagramm – Punkte statt Werte
SD steht für Standard Deviation beziehungsweise Standardabweichung. Wikipedia gibt hierfür eine Erklärung: „Die Standardabweichung ist ein um 1860 von Francis Galton eingeführter Begriff der Statistik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ein Maß für die Streuung der Werte einer Zufallsvariablen um ihren Erwartungswert.” Man kann auch sagen, die Standardabweichung beschreibt die durchschnittliche Schwankungsbreite um einen Mittelwert. Diese SD-Definition wird bei der Erfassung der Herzratenschwankungen angewendet.
Dem SD1-Wert, der für die Breite der Punktwolke steht, wird die Tätigkeit des schnell reagierenden Parasympathikus zugeordnet. Die Wirkung des vegetativen Nervensystems mit seinen langsamen Veränderungen von Parasympathikus und Sympathikus, wird durch den SD2-Wert anzeigt. Er bestimmt das Längenmaß im Poincaré-Diagramm.
Ohne dass man sich groß mit den Werten auseinandersetzen muss, erkennt man bei einer breiten Streuung um die Diagonale des Diagramms (Identitätsachse) eine gute Variabilität. Handelt es sich eher um eine schlanke oder gar kreisförmige Verteilung mit geringem Durchmesser, muss von einer eingeschränkten Regulation bzw. einer Regulationsstarre ausgegangen werden.
Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des vegetativen Nervensystems lassen sich bei der genaueren Betrachtung der beiden Werte ziehen. Der SD1-Wert beschreibt die Fähigkeit für millisekunden-schnelle Anpassungen. Er spiegelt die Einflussnahme des Parasympathikus von einem Herzschlag auf den nächsten wider. Für die eher langsamen Regulierungen, bei denen sich Parasympathikus und Sympathikus ergänzen, steht der SD2-Wert. Anhand dieser Eigenschaften lassen sich die Werte auch für die Interpretation nutzen.
Punito Aisenpreis nutzt die beiden Werte in seiner Praxis in München und Murnau auch für eine Einschätzung, wie lange eine gesundheitliche Einschränkung bereits vorliegen könnte. Am SD1-Wert lassen sich kurzfristige Veränderungen der Herzratenvariabilität ablesen. Er gibt Auskunft über den momentanen Zustand. Verringerte Werte zeigen beispielsweise eine aktuelle bzw. gegenwärtige Stressbelastung an. Eine bereits länger anhaltende Veränderung hingegen wirkt sich eher in einer Verschlechterung des SD2-Parameters aus.
Das Verhältnis von SD1 und SD2
Sehr aufschlussreich ist auch das Verhältnis, wie die beiden Werte zueinander stehen. Sich nur auf einen Wert zu konzentrieren wäre falsch. SD1 hat meist einen kleineren Wert als SD2. Umkehren kann sich das Verhältnis, wenn beispielsweise Alkohol im Spiel ist, jemand emotional fehlsteuert oder Störungen der Herz-Erregungsleitungen vorliegen.
Als Trauma-Therapeut hat Punito Aisenpreis die Erfahrung gemacht, dass bei Patienten sehr hohe SD1- und sehr niedrige SD2-Werte auch auf ein Trauma hinweisen können. Eine weitere Beobachtung von ihm ist, dass sich bei sehr gestressten Menschen der SD1 viel schneller verschlechtert als der SD2-Wert. Auch bestätigte sich schon oft in seiner Praxis, dass ein extrem geringer SD1-Wert ein Indiz für eine diabetische Neuropathie oder eine Schilddrüsenüberfunktion sein kann.
Uns ist bewusst, dass sich unsere Ausführungen nur mit einem ganz kleinen Ausschnitt von einem Messergebnis beschäftigen. Sie reichen nicht für eine Einschätzung des gesundheitlichen Zustandes aus und schon gar nicht für eine genaue Diagnose.
SD1 und SD2 sollten gemeinsam betrachtet werden, aber sie sollten auch immer im Verhältnis zu den anderen Parametern interpretiert werden.