Für diesen Beitrag habe ich mir also den Hypothalamus herausgepickt. Wie Sie im Eingangstext bereits gelesen haben, hat er eine besondere Stellung, was es auch gleichzeitig kompliziert macht, seine Rolle im Netzwerk Gehirn zu beschreiben. Ich will einen Versuch wagen, möchte aber in dieser Stelle schon vorausschicken, dass ich in diesem Beitrag nur einen groben Überblick dieser Steuereinheit bieten kann.
Auch wenn es in diesem Beitrag hauptsächlich um den Hypothalamus geht, sollte man nicht vergessen, dass er nur ein Teil des zerebralen Kontrollsystems ist. Aber er sitzt mitten drin, nämlich im Zwischenhirn. Dort ist er in direkter Nachbarschaft mit dem Thalamus und Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), einer der Hauptakteure zwischen Hirnstamm und Großhirnrinde. Während der Thalamus die Sinneswahrnehmungen sortiert, kümmert sich der Hypothalamus zusammen mit der Hypophyse um die unbewussten Körperfunktionen. Die Meldung über Hunger und Durst, aber auch die Regulierung der Körpertemperatur oder Blutdrucks kommt von beiden. An dieser Spanne lässt sich schon erkennen, wie groß die Aufgaben sind – und dass dieser Beitrag für die vollständige Beschreibung nicht ausreichen wird.
Wichtigste Steuerzentrale des VNS und Hormonsystems
Wer sich noch nie über den Hypothalamus Gedanken gemacht hat, wird an dieser Stelle bestimmt denken, dass es sich wegen der zentrale Bedeutung, um eine recht große Hirnregion handeln müsste. Weit gefehlt, es ist, wie im Schwabenland gerne gesagt wird, nur ein ganz kleiner “Bobbel”. Er ist so groß wie eine kleine Fingerkuppe und wiegt etwa fünf Gramm. Auf engsten Raum teilen sich verschiedene Nervenzellgruppen die Arbeit. Einige davon sind an mehreren Aufgaben gleichzeitig beteiligt. Trotz seines unscheinbaren Umfangs hat der Hypothalamus eine enorme Befehlsgewalt im Körper.
Der Hypothalamus wacht über alle Körperprozesse und hält sie im Gleichgewicht. Das vegetative Nervensystem (VNS) steht unter seiner Kontrolle. Die Funktionen von Herz und Blutgefäßen sowie die Körpertemperatur werden von ihm reguliert. Die Grundbedürfnisse Essen, Trinken, Schlafen, Wachen sowie Sexualität und Lust stehen ebenfalls unter dem Einfluss des Hypothalamus. Er kontrolliert quasi in Echtzeit alle Vorgänge, weiß immer genau, was gerade im Körper passiert, ob jemand friert, isst, Sex oder Stress hat.
Natürlich schafft das der Hypothalamus nicht alles alleine. Seine Verbindungen zu anderen Teilen des Gehirns wie z. B. des Hirnstammes oder des limbischen Systems mit Hippocampus und Amygdala, verhilft ihm, immer auf dem Laufenden sein, was im Körper los ist.
Bei der Steuerung der Organe bedient sich der Hypothalamus einiger Tricks. Seine Zielobjekte steuert er nicht immer direkt an, sondern nutzt seine Verbindung zu anderen Gehirnregionen, wie z. B. Teile des Hirnstammes, zur Regulierung. Er ist auch in der Lage unser Verhalten so zu beeinflussen, dass wir Bedürfnisse wie z. B. Hunger und Durst wahrnehmen und daraufhin handeln. Nicht zu zuletzt kann sich der Hypothalamus auch das vegetative Nervensystem zunutze machen und auf die Organfunktion einwirken.
Seine enge Verbindung zur Hypophyse ist ein weiteres Beispiel für eine raffinierte Arbeitsaufteilung. Mit vereinten Kräften senden sie eine Art “Masterhormone” aus, über die sie andere Hormondrüsen kontrollieren und steuern. Man kann es sich an dieser Stelle wie einen kleinen Regel-Kreislauf vorstellen. Die auf diesen Befehl ins Blut abgegebenen Hormone, regulieren wiederum die Aktivitäten der Steuerzentrale Hypothalamus.
Auch wenn man eigentlich vom Hypothalamus nicht von einer Drüse schreiben darf, weil er aus Nervenzellen besteht, muss man ihn in dieser Verbindung als Hauptdrüse des Hormonsystems betrachten. Er kontrolliert direkt und streng die Aktivitäten der Kirschkern großen Hypophyse. Über einen Stiel und ein verästeltes Gefäßsystem stehen sie in Kontakt. Diese Verbindung ermöglicht die zwei bereits in der Einleitung erwähnten Übertragungswege.
Die wichtigste Hormondrüse besteht aus Nervenzellen
Der Transfer über Nervenbahnen geht vom Hypothalamus zum Hypophysen-Hinterlappen. Über diese Verbindung bringt er die Hormone Oxytocin und Vasopressin auf den Weg. Sie werden vom Hypothalamus direkt gebildet und im Hypophysen-Hinterlappen für den nächsten Einsatz gelagert. Vasopressin, auch Adiuretin oder antidiuretisches Hormon (ADH) genannt, ist im Körper an der Regulierung des Wasserhaushaltes beteiligt. Oxytocin löst Geburtswehen aus und lässt nach der Geburt die Muttermilch einschießen. Es wird in den letzten Jahren auch zunehmend als Antistress-Hormon gehandelt. Werden beide Hormone im Körper gebraucht, geschieht ihr Weitertransport über den Blutkreislauf.
Der Austausch zwischen dem zweiten Teil der Hypophyse, dem Vorderlappen, und dem Hypothalamus geschieht über das Gefäßsystem. Im Gegensatz zum Hinterlappen ist der Vorderlappen der Hypophyse in der Lage, Hormone selbst zu produzieren. Und das muss er auch, denn vom Hypothalamus kommt auf diesem Weg nur ein Steuerhormon. Dieses Steuerhormon veranlasst die Freisetzung oder Hemmung. In der medizinischen Fachsprache werden die Hormone, die der Hypothalamus an den Hypophysen-Vorderlappen abgibt, Releasing- (englisch: to release – freisetzen) bzw. Inhibitionshormon (englisch: to inhibit – hemmen, blockieren) genannt.
Mittelbar und unmittelbar wirkt so der Hypothalamus auf alle Vorgänge im Körper. Über die Hypophyse hat er Einfluss auf alle hormonellen Drüsen, kann sie zur Bildung von Hormone anregen oder ausbremsen. Da sich die ausgesendeten Hormone in ihrer Molekularstruktur alle unterschieden, kann es nicht zu Irrläufern oder Verwechselungen kommen. Die nur für das Zielobjekt herstellten Hormone können nur von der Körperregion angenommen werden, die über den passenden Hormonrezeptor verfügt. Man muss sich das wie ein Schlüssel- und Schloss-System vorstellen. Wenn der Schlüssel nicht passt, geht die Tür nicht auf.
An dieser Stelle könnte ich eine ganze Liste von Hormonen aufführen und auf die Abfolge vom Hypothalamus über den Hypophysen-Vorlappen bis zum Ziel-Organ eingehen. Einen guten Überblick über das Ineinandergreifen der verschiedenen Hormone findet sich jedoch bei Wikipedia.
Ich möchte anhand eines Beispiels erklären, wie diese Befehlskette arbeitet. Unter den vielen lebenswichtigen Hormonen habe ich mir den Umgang mit Stressbedingungen ausgesucht. Was passiert im Körper, wenn er sich einer Bedrohung oder Gefahr ausgesetzt sieht?
Die Stress-Meldestelle: Nucleus paraventricularis
Dass der Hypothalamus nur ein ganz kleiner “Bobbel” ist, wissen Sie ja bereits. Auch dass es verschiedene Nervenzellgrüppchen gibt, die sich unterschiedliche Aufgabe teilen, ist schon erwähnt. Eines dieser kleinen Gewebehäufchen ist der Nucleus paraventricularis. Er umfasst etwa einen halben Quadratmillimeter und enthält etwa 10.000 Nervenzellen. Interessanterweise scheinen sie nicht untereinander vernetzt zu sein. Dies deutet darauf hin, dass die Aktivität des Nucleus paraventricularis ziemlich direkt von den einlaufenden Nervenimpulsen bestimmt wird.
Man mag es fast nicht glauben, aber dieses Mini-Zellhäufchen hat mehrere Dateneingänge. Auch hier möchte ich mich auf eine Auswahl beschränken und nur ein paar wichtige aufführen. Es gibt beispielsweise Informationsflüsse von anderen hypothalamischen Kernen und aus dem limbischen System. Über die Verbindung zum Hirnstamm kommen vom Vagusnerv als Teil des Parasympathikus Meldungen über den Zustand der inneren Organe.
Ganz gesichert sind die Erkenntnisse noch nicht, aber man geht davon aus, dass die Stresszellen des Nucleus paraventricularis, wenn sie durch Veränderungen des körperlichen Zustands aktiviert werden, das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) ausschütten. Über den Gefäßweg gelangt das Steuerhormon zum Hypophysen-Vorlappen, der daraufhin das Adrenocorticotrope-Hormon (ACTH) auf den Weg Richtung Nebennierenrinde schickt und sie dazu veranlasst, Cortisol ins Blut auszuschütten. Das Stresshormon versetzt den Körper in die Lage, sich mit dem Stressgeschehen auseinander zu setzen.
Die Nervenzellen, die CRH produzieren, besitzen natürlich auch Cortisolrezeptoren. Sie sind also immer über die Aktivitäten der Nebennieren unterrichtet. Weitere Meldestellen über den Cortisol-Pegel befinden sich im Hippocampus und der Amygdala. Der Kreislauf schließt sich mit der Tatsache, dass Cortisol die Ausschüttung von CRH verringert.
Ein Detail noch zum Schluss: Die größeren Zellen des Nucleus paraventricularis produzieren die Hormone Oxytocin und Vasopressin, die nicht direkt etwas mit Stress zu tun haben.
Fazit zur Einflussnahme des Hypothalamus auf die HRV
VNS und Hormonsystem beeinflussen sich gegenseitig. Der Hypothalamus ist das Bindeglied und der Ort mit der größten Einflussnahme. Sein Wirken macht verständlich, warum die HRV von beiden Steuersystemen beeinflusst wird. Das bedeutet, dass mehr Impulse in die HRV-Werte einfließen als nur das Wirken von Sympathikus und Parasympathikus. Allein die direkte Kontrolle des Hypothalamus über den circadianen Rhythmus, eine Art 24-Stunden-Schrittmacher, zeigt den Zusammenhang zur HRV.
Meine Quelle zum Thema: Richard F. Thomson, Das Gehirn, Von der Nervenzelle zur Verhaltenssteuerung, Spektrum Akademischer Verlag