Zweite Auflage eines praxisnahen Standardwerks

CoverHi_Herzratenvariabilitaet_8ProzZum Fachgebiet der Herzratenvariabilität gibt es wenige Bücher auf Deutsch, die man als Standardwerk bezeichnen kann. Eines davon ist jetzt in der zweiten Auflage erschienen: Herzratenvariabilität von Dr. Eller-Brendl. Die Neuauflage überzeugt mit einigen neuen Kapiteln. Der Teil über die Einflussfaktoren wurde um einige interessante Aspekte erweitert. Die Ausführungen zu den Krankheiten, die mit einer pathologischen Herzratenvariabilität einhergehen, wurden ebenfalls ergänzt und neu strukturiert.

Als wir unser Buch Puls des Lebens schrieben, schaute ich mich nach entsprechender Fachliteratur um. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie viel wissenschaftliche Veröffentlichungen es (vorwiegend auf Englisch) gibt und wie wenige Bücher das Thema umfassend abhandeln. Das Buch zur Herzratenvariabilität von Dr. med. Doris Eller-Berndl war damals bereits vergriffen und die neue Auflage wurde bereits angekündigt. Auf Umwegen gelang es mir, noch eine alte Ausgabe zu ergattern – leider erst nach Erscheinen unseres Buches.

Sehr praxisnah durch viele Beispielmessungen

Wie alle Fachbücher zur Herzratenvariabilität (HRV) ist das gleichnamige Werk kleine leichte Kost für Einsteiger. Die Basics werden ziemlich zügig abgehandelt. Medizinisches Wissen wird vorausgesetzte sowie ein sicherer Umgang mit Fachbegriffen. Alle Informationen sind auf das Wesentliche reduziert. Zusammenhänge werden in Grafiken und Schaubildern dargestellt. An einigen Stellen wünscht man sich manchmal einen erklärenden Satz mehr. Die vielen Messbeispiele schaffen einen Praxisbezug. Veranschaulicht werden die Messungen mit HRV-Spektrogrammen und oft mit einem zusätzlichen Diagramm zur Herzfrequenzveränderung sowie einer kleiner Legende zum Patienten. Sehr aufschlussreich ist die Gegenüberstellung von verschiedenen Messungen zu einem Themenkomplex.

Dr. Eller-Brendl widmet sich in ihrem Buch hauptsächlich der Langzeitmessung. Ausführungen zu der Fünf-Minuten-Kurzzeitmessung oder der RSA-Messung finden sich keine. Die Wiener Ärztin äußert sich dazu folgendermaßen: “Hier geht es um komplett verschiedene Ansätze, ja Weltanschauungen, die beide ihre Berechtigung besitzen. Auf der einen Seite steht das Paradigma der Physiologen und Neurologen: Die HRV-Daten werden fünf bis 20 Minuten mit oder ohne Interventionen unter sorgsam kontrollierten (Labor-)Bedingungen aufgezeichnet. Auf der anderen Seite das Paradigma der Kliniker und Epidemiologen: Die HRV-Daten werden 24 Stunden unter “Real-life”-Bedingungen aufgezeichnet. Neben der Beurteilung circadianer Rhythmen eignet sich die 24-Stunden-Messung auch sehr gut als Evaluierungsinstrument.”

Mehr über HRV in Verbindung mit Epigenetik und Entzündungen

Was unterscheidet die zweite Auflage von der ersten? Ganz pragmatisch in Zahlen ausgedrückt: Die Neuauflage hat 60 Seiten mehr Umfang. Der Hauptanteil der Erweiterung findet sich im Kapitel Einflussfaktoren. Bei den hinzugekommenen Themen leistet die Autorin ein bisschen Aufklärungsarbeit. Sie führt in die Zusammenhänge recht ausführlich ein.

Ganz neu hinzugekommen ist das Unterkapitel zur Epigenetik. Sehr interessant sind hier die Beispiele von eineiigen Zwillingen. Faktenreich sind auch die Ausführungen und Beispiele zur HRV und den epigenetischen Prägungsphasen während der Schwangerschaft sowie zur Ernährung und Bewegung.

Viele Seiten an Umfang gewonnen hat das Kapitel über Entzündungen. In den letzten Jahren wurden chronische Entzündungen als Ursache für viele Krankheiten identifiziert. In dem gerade erschienen Fachartikel in der Sportärztezeitung (Herzratenvariabilität in der Sportmedizin, S. 84, Ausgabe 2/16) äußert sich Frau Dr. Eller-Brendl folgendermaßen in diesem Zusammenhang: “Alle Zustände, die mit einer chronischen Minimalentzündung verbunden sind, verschlechtern die vagale Kontrolle. Die meisten chronischen Erkrankungen wie Depression, rheumatologische Erkrankungen aber auch Übertraining sind mit Inflammation assoziiert.” Im Buch erfährt man, was auf zellulärer Ebene für Prozesse ablaufen und wie sich gegenseitige Einflussnahme von Immunsystem und vegetativen Nervensystem auswirkt. Gesondert aufgeführt wird auch, wie Sympathikus und Parasympathikus auf Entzündungen reagieren.

Als zweiten wichtigen Einflussfaktor sieht die Autorin neben der Entzündung das Alter. Auch zu diesem Thema hat sie die Inhalte ergänzt. Recht ausführlich äußert sie sich über die Telomere als Marker für das biologische Alter. Sie schreibt über die natürliche Verkürzung der Telomer-DNA im Laufe des Lebens und die Risikofaktoren, die diesen Prozess beschleunigen. Ein paar Beispielmessungen mit Angaben zur Telomerlänge bilden den Übergang zum Bereich alterskorrelierte Normwerte.

Etwas Zuwachs haben auch die Bereiche über HRV-beeinflussende Medikamente und Geschlechtsunterschiede (mit Schwerpunkt auf die hormonellen Unterschiede) bekommen. Außerdem gibt es bei der Beschreibung zum Parasympathikus nun auch etwas über die Polyvagale Theorie, die Mikrobiota-Darm-Vagus-Gehirn-Achse, den pulmonalen parasympathischen inflammatorischen Reflex sowie über die Blut-Hirn-Schranke und die Herz-Hirn-Achse zu lesen.

Krankheiten werden in der Neuauflage in separaten Kapiteln abgehandelt. Klarer strukturiert und ergänzt findet sich unter Stoffwechselkrankheiten alles von Adipositas, über nichtalkoholbedingter Fettleber bis zu Diabetes. Das Kapitel zur Neurokardiologie umfasst Krankheitsbilder wie plötzlicher Herztod, Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie, chronische obstruktive Lungenerkrankung, Angststörungen, Depressionen, Stress, chronisches Überlastungssyndrom und Übertraining im Sport.

Mein Fazit zum Buch

Das Buch bietet einen umfassenden Überblick, wo die HRV als Diagnosewerkzeug überall zum Einsatz kommen kann. Die vielen Beispielmessungen schulen den Blick für die Praxis – aber nur für Langzeitmessungen. Verschiedene Messmethoden, Analyseverfahren sowie methodische und technische Voraussetzungen werden nur teilweise oder gar nicht beschrieben.

Vermutlich ist es eine Typ-Frage, wie man sich dem Thema HRV annähern möchte: eher von den Anwendungsmöglichkeiten oder über die Technik. Ich nutze das Buch sehr gerne, schlage immer Themen nach und bin immer wieder überrascht von der Informationsdichte.

Zum Schluss noch ein Hinweis: Im Buch von Dr. med. Doris Eller-Brendl befinden sich einige ganz nützliche Grafiken von der Website www.hrv.cc.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert