Der Parasympathikus bekommt mittlerweile die ihm zustehende Aufmerksamkeit. Seither wurde hauptsächlich der Sympathikus beachtet, wenn es um die Einschätzung eines Krankheitsrisikos ging. Jetzt weiß man, dass vom Parasympathikus unsere Gesundheit mehr abhängt als man lange Zeit dachte. Wie gut sein Schutzmechanismus funktioniert, spiegelt sich in vielen Herzratenvariabilitäts-Werten wider.
In einer großen deutschen Publikumszeitschrift wurde der Parasympathikus einmal als das Wellnessprogramm für den Körper bezeichnet. Es stimmt, dass während einer angenehmen Massage der Parasympathikus die entspannende Wirkung im Körper verbreitet, aber das ist nicht alles, was er vermag. Auch der Vergleich mit einer Bremse gefällt mir nicht. Klar, er ist der Gegenspieler des Sympathikus, dem “Gaspedal”. Aber die Erklärung, dass er die vom Sympathikus angeregten Prozesse nur wieder verlangsamt, trifft es doch auch nicht ganz. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf diesen Schutzpatron für die Gesundheit und den Garanten für die körperliche Leistungsfähigkeit werfen.
Der Parasympathikus bildet keine so geordnete Struktur mit einem Grenzstrang wie der Sympathikus. Seine Ursprungszentren liegen nicht alle in Rückenmark. Einige befinden sich auch direkt im Gehirn, in den Kernen des Hirnstamms. Was zur Folge hat, dass es zu einer Vermischung mit den Hirnnerven kommt.
Hauptakteur: Der Vagus-Nerv
Eine besondere Rolle fällt dem Vagus-Nerv zu. Der zehnte Hirnnerv hat neben seinen willkürlichen Funktionen auch parasympathische Aufgaben als Eingeweidenerv. Sein Wirken im Körper macht weit über die Hälfte des parasympathischen Einflusses aus. Ähnlich, aber nicht ganz so einflussreich, sind der dritte, fünfte und neunte Hirnnerv. In ihren Nervenbahnen finden sich ebenfalls parasympathische Fasern.
Genauso wie beim Sympathikus müssen die Nervenfasern des Parasympathikus auch ein “Umschaltstadium” durchlaufen, bevor sie ihr Ziel erreichen. Die zuständigen Ganglien liegen jedoch nicht geordnet in einem Grenzstrang, sondern im ganzen Körper verteilt, direkt an den Organen. Besonders engmaschig ist das Nervengeflecht des Parasympathikus im Halsbereich und in der Nähe des Kreuzbeins. Was zur Folge hat, dass die Nervenbahnen teilweise sehr lange Wege zurücklegen müssen.
Schnelles Reaktionsvermögen
Auch bei der Wirkung der beiden Anteile des vegetativen Nervensystems (VNS) gibt es Unterschiede. Sie wirken nicht nur ganz verschiedenen (anregend oder beruhigend), sondern auch noch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Rasche Veränderungen werden in erster Linie über die Nervenbahnen des Parasympathikus bewirkt. Er ist in der Lage, die Regulationsvorgänge viel schneller vorzunehmen als der Sympathikus.
Die Beschaffenheit der Nervenverbindungen ist ein Grund für das unterschiedliche Reaktionsvermögen. Die Ummantelung der Parasympathikus-Fasern bietet eine zehnmal schnellere Weiterleitung von Steuerungssignalen als dies beim Sympathikus der Fall ist. Ein weiterer Grund sind die verschiedenen Überträgersubstanzen. Der Parasympathikus arbeitet ausschließlich mit einem einzigen Neurotransmitter, dem Acetylcholin, was ihm Zeit und Energie bei der Weiterleitung einspart.
Innerhalb einer halben Sekunde kann der Parasympathikus reagieren. Vielleicht wird anhand dieser Tatsache verständlich, warum sich der Herzschlag innerhalb von einem Atemzug zum nächsten verändern lässt. Verringert sich die Herzfrequenz beim langsamen Ausatmen, so ist das immer ein sicheres Zeichen, dass der Parasympathikus aktiv ist. Fast genauso schnell, kann er sich übrigens auch wieder zurücknehmen, innerhalb einer Sekunde kann die Reizausübung abklingen.
Das schnelle Reaktionsvermögen des Parasympathikus ist wichtig. Mit der Schaffung und Speicherung von Energiereserven macht er es überhaupt möglich, dass der Sympathikus bei anstehenden Herausforderungen auf sie zurückgreifen kann. Die Förderung der ausreichenden Leistungsreserven ist dem Parasympathikus verdanken.
Vielleicht könnte man in diesem Zusammenhang die Tätigkeit des Parasympathikus als Erholungsprogramm bezeichnen. Für die Bewältigung der sympathischen Belastungen beschleunigt der Parasympathikus Prozesse im Körper, die die Regeneration fördern und die Kraftspeicher neu auffüllen. Die Verdauungstätigkeit wird wieder aufgenommen. Alles ist bereit für die Nahrungsaufnahme: Die Abgabe von Magensäften wird angeregt, Magen und Darm erhöhen ihre Bewegungsmuster, Bauchspeicheldrüse und Gallenblase bereiten sich auf ihren Einsatz vor, auch Blase und Niere melden sich zurück. Die Blutversorgung in Haut und Peripherie nimmt wieder zu. Mittlerweile ist auch bekannt, dass der Einfluss des Parasympathikus das Immunsystem bei seiner Arbeit unterstützt.
Der beste Schutz vor stressbedingten Krankheiten
Erst in den letzten Jahren erkannte man, wie wichtig auch die Schutzfunktion des Parasympathikus vor stressbedingten Krankheiten ist. Lange Zeit ging man davon aus, dass für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko allein eine Überaktivität des Sympathikus verantwortlich ist. Mittlerweile wird dies in Abhängigkeit der parasympathischen Leistung betrachtet. Denn die Verminderung der Leistungsfähigkeit des Parasympathikus geht mit einem weitaus größeren Risiko für eine Krankheitsentstehung einher.
Wie wichtig der schützende Mechanismus des Parasympathikus ist, lässt sich am besten mit seiner Wirkung auf das Herz beschreiben. Ohne den Einfluss des vegetativen Nervensystems hat ein gesundes Herz einen Puls von etwa 70 Schlägen pro Minuten. Wird der Parasympathikus aktiv, verringert sich die Pulsrate. Das Herz muss weniger arbeiten. Durch die Reduzierung sinkt der Sauerstoffbedarf, weniger Muskelkraft ist nötig bei gleicher Funktion der Herzkammern. Die Verlangsamung wirkt sich auf die Erregungsleitung aus, was zu einer längeren Überleitzeit für die Erregungsübertragung im Herzen führt. Die Herzkammern bekommen mehr Zeit zur Erholung. Körpereigene Schutzprogramme können besser vor Ablagerungen und Entzündungen bewahren. Eine geringere Herzrate und weniger Schlagvolumen schützen auch vor Bluthochdruck und senken das Risiko für Arrhythmien.
Die HRV-Werte für den Parasympathikus
Bei der Herzratenvariabilität (HRV) gibt es einige Werte, die die Aktivität des Parasympathikus widerspiegeln. Je nachdem wie sie ausfallen, lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie gut oder schlecht er regulieren kann.
RMSSD | Quadratwurzel des Mittelwertes der Summe aller quadrierten Differenzen zwischen benachbarten RR-Intervallen | Indikator der Kurzzeitvariabilität |
NN 50 | Anzahl der Paare benachbarter RR-Intervalle, die mehr als 50 ms voneinander abweichen | Indikator der Spontanvariabilität |
pNN 50 | Prozentsatz aufeinanderfolgender RR-Intervalle, die mehr als 50 ms voneinander abweichen | Indikator der Spontanvariabilität |
HF | High frequency power: Leistungsdichtespektrum im Frequenzbereich von 0,15 bis 0,40 Hz | Erfassung des Großteils der parasympathisch beeinflussten Variabilität |
HF% | prozentualer HF-Anteil am Gesamtspektrum | Erfassung des Großteils der parasympathisch beeinflussten Variabilität |
HF nu | High frequency normalized unit: Entspricht HF / (Total Power – VLF) x 100 | Erfassung des Großteils der parasympathisch beeinflussten Variabilität |
SD1 | Standardabweichung der Punktabstände zum Querdurchmesser des Poincaré-Streudiagramms | Indikator der Kurzzeitvariabilität |
Tabelle der parasympathisch beeinflussten HRV-Werte (Quelle: Tabelle 2 aus der Leitlinie Nutzung der Herzschlagfrequenz und der Herzfrequenzvariabilität in der Arbeitsmedizin und der Arbeitswissenschaft)
In einige HRV-Werte fließen die Aktivitäten von Sympathikus und Parasympathikus gleichzeitig ein. Wie groß der Anteil des Parasympathikus ist, lässt sich nur ermitteln, wenn bei der Messung die Atmung mit einbezogen wird. Auf diesem Weg lässt sich beispielsweise bei einer Kurzzeitmessung eine respiratorische Sinusarrhythmie (siehe Beitrag Atmung bewegt Herzschlag) nachweisen. Sie ist ein Zeichen für den Einfluss des Parasympathikus.
SDNN | Standard deviation of RR-intervals: Standardabweichung der RR-Intervalle im Messzeitbereich | ohne klare Zuordnung zu Komponenten des VNS |
TP | Total power: Gesamtleistung oder Gesamtspektrum; entspricht Energiedichte im Spektrum von 0,00001 bis 0,4 Hz | ohne klare Zuordnung zu Komponenten des VNS |
LF | Low frequency power: Leistungsdichtespektrum im Frequenzbereich von 0,04 bis 0,15 Hz | Sympathikus und Parasympathikus, wobei der Anteil des Sympathikus überwiegt |
LF% | prozentualer LF-Anteil am Gesamtspektrum | Sympathikus und Parasympathikus, wobei der Anteil des Sympathikus überwiegt |
LF nu | Low frequency normalized unit: entspricht LF / (TP – VLF) x 100 | Sympathikus und Parasympathikus, wobei der Anteil des Sympathikus überwiegt |
LF/HF | Quotient der sympatho-vagalen Balance; als Wert des Zusammenspiels von Parasympathikus (HF) und Sympathikus (LF) | Sympathikus und Parasympathikus |
SD2 | Standardabweichung der Punktabstände zum Längsdurchmesser des Poincaré-Streudiagramms | Sympathikus und Parasympathikus |
Tabelle der sympathisch und parasympathisch (gemischt) beeinflussten HRV-Werte (Quelle: Tabelle 2 aus der Leitlinie Nutzung der Herzschlagfrequenz und der Herzfrequenzvariabilität in der Arbeitsmedizin und der Arbeitswissenschaft)
Man könnte jetzt meinen, dass der Parasympathikus nur Gutes bewirkt und der Sympathikus eher schädigend für den Körper ist. Das wäre falsch! Beginnt der Parasympathikus zu dominieren, schmälert sich der Einfluss des Sympathikus. Und mit dem Schwinden der sympathischen Aktivität nimmt die Fähigkeit der Leistungssteigerung ab. Aber letztlich wird dadurch das Gesamtsystem vor einer dauerhaften Überbelastung geschützt. Dominiert der Parasympathikus jedoch dauerhaft, also in einer krankhaften Weise, dann gestaltet sich der Alltag zu einer erschöpfenden Herausforderung, weil eine Leistungssteigerung durch den Sympathikus ständig “ausgebremst” wird.
Mein Fazit
Wir brauchen beide Anteile des VNS gleichermaßen für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Meist ist es jedoch der Parasympathikus, der in unserem hektischen Leben bei der Entfaltung seiner Wirkungsweise zu kurz kommt.