Das vegetative Nervensystem begleitet den Menschen durch Tag und Nacht. Mit seinen beiden Anteilen, dem Sympathikus und Parasympathikus, stellt es den Körper auf die alltäglichen Anforderungen ein. Beide folgen einem natürlichen Tages- und Nachtrhythmus. Wer ihn berücksichtigt, kann Kraftquellen besser für sich nutzen und gibt Energieräubern keine Chance mehr.
Die Aktivitäten von Sympathikus und Parasympathikus darf man sich nicht wie ein Art Schichtwechsel vorstellen: Der eine hat seine Arbeit erledigt, dann übernimmt der andere und macht weiter. Das hätte vielleicht ein paar Vorteile, wie z. B. auf Knopfdruck in Tiefschlaf fallen zu können, aber wohl eher viele Nachteile, weil nicht auf die Abstufungen der alltäglichen Anforderungen eingegangen werden könnte.
Besser passt vielleicht das Bild einer gleichberechtigen Partnerschaft. Gemeinsam begleiten sie uns durch Tag und Nacht, mal überwiegt die Wirkung des Sympathikus, mal die des Parasympathikus. Beide haben ihren eigenen Tagesrhythmus, der leider gerne von uns durchkreuzt wird.
Was Sympathikus und Parasympathikus Tag und Nacht so treiben, lässt sich am besten mit einer Langzeitmessung der Herzratenvariabilität (HRV) beobachten. Möglich ist das, weil die HRV genauso wie viele andere Vorgänge im Körper einer sogenannten zirkadianen Rhythmik folgt. Sie wird wie viele Organe von einem Tag-Nacht-Wechsel beeinflusst.
Überblick zu Tages- und Nachtaktivitäten
Der Tag startet unter der Regie des Sympathikus. Bereits in den frühen Morgenstunden übernimmt er die Leitung und behält sie bis zum Mittag. Der Parasympathikus ist immer mit von der Partie. Langsam und kontinuierlich steigert er seine Aktivität von den Morgenstunden an bis zum Abend. Dann übernimmt er die Oberhand und sorgt für entspannende Abendstunden und eine erholsame Nacht (wenn man ihn lässt). Mit ersten Vorbereitungen für den Tag lässt sein Einfluss frühmorgens langsam nach und der Sympathikus übernimmt wieder das Steuer.
Auch wenn es schwer vorstellbar ist: Es sind immer beide Anteile des vegetativen Nervensystems aktiv, nur mit unterschiedlicher Intensität.
Die Veränderung der HRV-Werte innerhalb 24 Stunden
Mit den High Frequency-Werten (HF) lassen sich die Aktivitäten des Parasympathikus beobachten. Etwa ab 8 Uhr morgens steigert er sich erst langsam, aber stetig. In den Abendstunden, gegen 21 Uhr, steigt seine Wirkung rasant an und erreicht ihren Höhepunkt etwa um 4 Uhr morgens. Ein extrem starker Rückgang der parasympathischen Aktivität vollzieht sich in den frühen Morgenstunden bis 8 Uhr.
Nicht ganz so eindeutig kann die Einflussnahme des Sympathikus mit den Werten der Low Frequency (LF) verfolgt werden. Das liegt daran, dass der LF-Parameter kein reines sympathisches Maß ist, sondern auch vom Parasympathikus beeinflusst wird.
Der Sympathikus übernimmt die Führung immer dann, wenn die Aktivität des Parasympathikus abnimmt. Die LF-Werte steigen nach Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden an, um im Verlauf des Vor- und Nachmittags sehr langsam wieder zu sinken
Das Verhältnis von LF und HF, die sympathovagale Balance (LF/HF), spiegelt auch den Verlauf der beiden Anteile des vegetativen Nervensystems (VNS) wider. Es zeigt ab der Mittagszeit bis in die Nachtstunden eine Verschiebung des Gleichgewichts in Richtung eines stärkeren parasympathischen Einflusses. Die verstärkte Aktivität des Sympathikus in den Morgenstunden sorgt wieder für eine Rückverschiebung der sympathovagalen Balance.
Auch die Gesamtaktivierung, wie beispielsweise der Wert Total Power (TP), unterliegt einem leichten Einfluss des Tag-Nacht-Rhythmus. Die niedrigsten Werte finden sich um Mitternacht und die höchsten am frühen Morgen.
Gegen den Rhythmus leben
Was das VNS mit Sympathikus und Parasympathikus Tag und Nacht leistet, nehmen wir, wenn überhaupt, nur begrenzt wahr. Vieles geschieht im Verborgenen, außerhalb unserer bewussten Wahrnehmung. Die unklare Vorstellung von den inneren Abläufen erschwert es, Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Die fehlende Einsicht kann zu einer trügerischen Sicherheit führen.
Die Auswertung der Herzratenvariabilitäts-Werte lässt wahrnehmen, was in der Nacht geschieht. Eindrucksvoll lässt sich zeigen, wie spätes Essen und Alkoholgenuss am Abend, den Körper um einige Stunden erholsamen Schlaf bringen. Seine Vorbereitungen für die Nacht werden durchkreuzt, das Mahl und die Promille müssen verarbeitet werden. Die HRV-Auswertung verdeutlich, wie viele Stunden der Körper für die Normalisierung braucht, um wieder zu seinem Nachtprogramm zurückzukehren. Nur wegen einer Planung, die den Tag-Nacht-Rhythmus nicht berücksichtigt, gehen kostenbare Stunden Schlaf verloren.
Recht anschaulich lässt sich bei Langzeitmessungen auch zeigen, was für Folgen eine hochintensive Sporteinheit haben kann. Ein übersteigertes Training endet für den Körper nicht unter der Dusche. Je nach Verausgabung ist der Organismus mehrere Stunden mit der Verarbeitung beschäftigt. Wurde der Zeitpunkt zusätzlich noch falsch gewählt, kann der Regenerationsprozess auch bis in die Nacht dauern, und an erholsamen Schlaf ist dann nicht zu denken.
Mein Fazit
Mit unserem Lebensstil stören wir das natürliche Wirken des VNS. Stimmt die Intensität der Lebensweise nicht mit dem Leistungsvermögen überein, beziehungsweise wird dem Körper viel abverlangt (bemerkbar durch überwiegende Aktivität des Sympathikus) und nicht für ausreichende Regeneration gesorgt (also der Parasympathikus unterdrückt), tritt eine allmähliche Schädigung ein.
Herzratenvariabilitäts-Werte, die sich aus einer verminderten Aktivität des Parasympathikus ergeben, signalisieren schon früh das Defizit bei Entspannungsphasen. Je länger die Überforderung andauert, umso mehr werden die Regulationssysteme im Körper geschwächt. Bei anhaltender Überlastung wird die Erholungsfähigkeit durch den Parasympathikus als erstes in Mitleidenschaft gezogen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer kompletten Leistungsminderung des vegetativen Nervensystems.
Danke für einen weiteren interessanten Artikel in diesem spannenden Blog! Die Folgerung aus dem Dargestellten für große Festessen ist mir jetzt klar: lieber mittags – und nachmittags dann dösen 😉 Aber die Folgerung für intensives oder gar hochintensives Training nicht unbedingt: lieber vormittags, wenn der Sympathikus natürlicherweise ein Hoch hat, damit während des nachmittäglichen natürlichen Hochs des Parasympathikus die Schäden durch das Training effektiv reparieren kann?
Vielen Dank für den Kommentar und die Nachfrage. Es freut mich, dass meine Beiträge auf Interesse stoßen.
Letztendlich geht es bei intensiven Sporteinheiten nur darum, dem Körper im Anschluss ausreichend Erholungszeit einzuräumen. Bei einem fordernden Training am Abend reicht die Zeit meist nicht aus, um dem Organismus anschließend mindestens zwei bis drei ruhige Stunden zu geben, die er als Vorbereitung für einen erholsamen Schlaf braucht.
Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln schreibt in seinem Buch ‘Power durch Pause’ (GU Verlag) auf Seite 56 Folgendes zu dem Thema: “Wer es beeinflussen kann, sollte Belastungen und gerade intensive Einheiten am ehesten in den Morgen oder den Nachmittag verlegen: Dann sind wir am leistungsfähigsten und der Körper kann wieder ‘herunterfahren’.”
Danke für die Antwort! Der Zusammenhang mit der Schlafvorbereitung war mir nicht klar, jetzt aber ein bisschen klarer 🙂
Mich treibt seit einiger Zeit die Frage nach dem Frühstück um. Vielleicht können Sie mir ja weiter helfen.
Wenn der Sympathikus morgens sehr aktiv, ist ja die Verdauungskraft gehemmt. Macht es da Sinn, morgens und mittags größere Mengen zu essen, wenn wir besonders leistungs- und konzentrationsfähig sein müssen? Wir alle kennen ja wahrscheinlich das Phänomen des “Suppenkomas” (wobei mittags eine Suppe statt Schnitzel & Pommes vermutlich die bessere Wahl wäre). Sollte man morgens und mittags nicht besser leicht essen und eine “ordentliche Mahlzeit” (natürlich maßvoll) am frühen Abend, sodass noch genügend Zeit bis zum Schlafengehen bleibt? Verstehen Sie meine Verwirrung? Auch wenn die allgemeine Empfehlung lautet: Morgens essen wie ein König, mittags wie ein Edelmann und abends wie ein Bettler, entspricht das überhaupt nicht meiner Körperwahrnehmung. Wenn ich morgens viel esse, und erst recht ohne echtes Hungergefühl, bin ich danach zu nichts mehr zu gebrauchen: der Parasympathikus wird entgegen des biologischen Rhythmus angeschmissen, um die Verdauung zu bewerkstelligen. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort und danke bereits im voraus.
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Nachfrage. Ich habe sie im Kern so verstanden: Warum soll man morgens und mittags richtig essen, obwohl die Aktivität des Magen-Darm-Trakts durch einen höheren Sympathikus-Tonus verringert ist?
Sich hier nur auf Sympathikus und Parasympathikus zu beziehen, greift zu kurz. Es geht insgesamt darum, bei längerer Aktivität über den Tag gleichmäßig genügend Energie zu haben.
Der höhere Sympathikus-Tonus ist normal, weil chronobiologisch tagsüber mehr Aktivität stattfindet. Um vorhandene Energie auf die “Verbraucher” (wie z. B. Muskeln, Gehirn) zu konzentrieren, wird die Aktivität des Magen-Darm-Trakts vermindert, aber nicht unterbunden – dies fände nur bei Flucht- und Paniksituationen statt. Denn neben Sympathikus und Parasympathikus gibt es noch einen dritten Anteil des vegetativen Nervensystems: das enterische Nervensystem, auch Eingeweide-Nervensystem oder Bauchhirn genannt. Ihm verdankt der Magen-Darm-Trakt seine Unabhängigkeit. Der Einfluss von Sympathikus und Parasympathikus ist für die Regulation der Magen-Darmfunktion eher untergeordnet.
Man braucht bei langandauernder Aktivität “Nachschub” aus dem Magen-Darm-Trakt. Es wäre ineffizient, tagsüber ausschließlich von gespeicherten Reserven zu leben und nachts die Speicher wieder aufzufüllen. Deshalb ist es besser, genügend zu essen, um die Leistungsfähigkeit direkt und trotz verminderter Magen-Darm-Trakt-Aktivität zu unterstützen.
Kann Mandragora comp. zum Einnehmen gegen Gelenkdeformationen sich als Langzeitmedizin negativ auf den Darm und das übrige Nervenregulationssystem auswirken?
L.G.und danke für den aufschlußreichen Bericht.
Anna