Von einem Personal-Trainer wurde ich gefragt, wann er nach dem Training die Herzratenvariabilität (HRV) messen soll, um zu sehen, wie das Training seinen Klienten gefordert oder auch entspannt hat. Eine nachvollziehbare Frage aus der Praxis, für die es aber in den mir bekannten Lehrbüchern keine Antwort gibt. Mit der Unterstützung von Professor Olaf Hoos, wissenschaftlicher Leiter des Sportzentrums der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, wage ich mich an eine Antwort heran.
Selbstverständlich ist die tägliche HRV-Messung – immer unter gleichen Bedingungen durchgeführt – die beste Möglichkeit für eine Trainingskontrolle. Im Alltag von Personal-Trainern hapert es hier doch meist an der Umsetzung. Vor allem am Anfang wird sich ein Klient nur schwer überzeugen lassen, jeden Tag seine HRV zu messen. Für den Coach wäre die HRV aber sehr aufschlussreich, um sein Training auf die aktuellen Bedürfnisse seines Kunden ausrichten zu können.
Der Trainingszustand bestimmt den Zeitpunkt mit
Eine pauschale Antwort auf die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der HRV-Analyse gibt es nicht. Schon allein der Trainingszustand übt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Zeitfenster aus. “Eine Metaanalyse (Stanley et al., 2013) zum Erholungsverlauf zeigt, wie groß die Unterschiede sind”, berichtet Professor Hoos. “Leistungssportler hatten bereits 20 Minuten nach einem Standardtraining ihre vagale Ausgangslage des Parameters RMSSD nahezu wieder erreicht, Untrainierte hingegen noch nicht einmal nach 90 Minuten.”
Fazit: Je besser der Trainingszustand ist, umso leichter fällt es dem Körper mit Belastungen umzugehen und umso schneller werden die HRV-Ausgangswerte wieder erreicht oder sogar übertroffen (vagaler Rebound-Effekt).
Die Trainingshäufigkeit spielt auch eine Rolle
Wird mehrmals in der Woche trainiert, überlagern sich die Effekte. Professor Hoos erklärt, welche Auswirkungen das auf die Messergebnisse hat: “Je nachdem wie intensiv und oft trainiert wird, wirkt sich die Einheit A von Tag A auf die Einheit B am Tag B aus. Da die Organsysteme ganz unterschiedlich auf die Belastung reagieren, kommt es zu einer Vermischung im Ergebnis. Durch die unterschiedliche Regenerations- und Anpassungszeit wird es mit Einzel-Messungen nach dem Training schwierig, genau zu unterscheiden, was der Auslöser war, da immer kumulierte Effekte auftreten. Eine klare Unterscheidung der Effekte ist bei 2 bis 3 Einheiten pro Woche meist noch möglich, wobei natürlich andere Stressoren neben dem Training auch immer eine Rolle spielen.”
Kleiner Regulations-Check für zwischendurch
Eine gute und sehr einfache Einschätzung über die Regulationsfähigkeit des vegetativen Nervensystems nach Belastung lässt sich mit der 1-Minuten-Erholung (Heartrate-Recovery) gewinnen. Der Puls wird sofort nach der Belastung gemessen und dann noch einmal eine Minute später. Die Senkung der Herzfrequenz spiegelt wider, wie schnell das vegetative Nervensystem von der sympathischen zur parasympathischen Aktivität umschaltet und dadurch die Herzfrequenz reduziert. Natürlich gibt es hier auch wieder eine Abhängigkeit vom Trainingszustand sowie von der Dauer und Intensität der vorausgegangenen Belastung.
Eine Empfehlung für die Messung nach dem Training
Wenn Sie bis hierher alles gelesen haben, ahnen Sie bereits, dass es keine verbindliche Antwort auf die eingangs erwähnte Frage des Personal-Trainers gibt. Zu viele Einflussfaktoren wirken sich auf das Ergebnis einer HRV-Analyse nach einer Belastung aus. Daher zögern Wissenschaftler berechtigterweise, hier einfache Richtwerte für den Trainingsalltag zu geben.
Aber Professor Hoos gibt trotzdem eine Empfehlung, denn die HRV soll ja auch für Anwender praktikabel sein: “Die größten Unterschiede zu den Ausgangswerten treten direkt nach der Belastung auf. Nach einer Viertelstunde lässt sich ein Eindruck davon gewinnen, wie intensiv sich die Belastung auf den Organismus ausgewirkt hat und inwiefern schon Erholungsprozesse in Gang gekommen sind. Natürlich sollte versucht werden, während der 15 Minuten Wartezeit immer die gleichen Mess-Bedingungen zu schaffen. Als immer gleichen Ablauf könnte ich mir beispielsweise ein leichtes Dehn- oder Faszien-Programm vorstellen, eventuell reicht es auch noch zum Duschen und Anziehen. Dann könnte man die HRV-Messung auch mit der Abfrage des subjektiven Belastungsempfindens der Trainingseinheit gut kombinieren.”
Mit dem Mess-Ergebnis umgehen
Ein gestresster Manager freut sich bestimmt, wenn er das Personal-Training mit besseren HRV-Werten verlässt. Sein Trainier weiß nach der Messung, dass er mit seinem Programm für Ausgleich gesorgt hat. Dies funktioniert allerdings meist nur bei sehr moderaten und eher entspannungsbezogenen Programmen. Wenn eine Einheit intensiv und fordernd war, sind schlechtere HRV-Ergebnisse direkt nach dem Training nichts Schlimmes, sondern zu erwarten, denn die Erholung des Vegetativums braucht seine Zeit. Außerdem müssen für eine Leistungssteigerung ja auch immer wieder Impulse gesetzt werden, die dann erst nach 1 bis 2 Tagen vegetativ vollständig verarbeitet sind
Egal, ob es um Entspannung oder Leistungssteigerung beim Training geht, die Messung der HRV gibt Einblicke zur Regulationsfähigkeit und hilft, das richtige Maß für die Belastung zu finden.
Regelmäßige Messungen sind allerdings die Voraussetzung. “Ich würde Personal-Trainern empfehlen, spielerisch ans Messen heranzugehen: Das Training unterschiedlich ausrichten und einfach mal über einen längeren Zeitraum unter möglichst vergleichbaren Messbedingungen beobachten, wie sich die Parameter in der Erholungsphase verändern”, empfiehlt Professor Hoos als Herangehensweise. “Beim Ausdauertraining fallen die Effekte auf die HRV nachweislich größer aus als beim Krafttraining.”
Natürlich stellt sich die Frage, wie dauerhaft das Messergebnis nach einer Viertelstunde ist. Wie sich ein Training langfristig auf die HRV auswirkt, wird sich erst nach 24 bis 48 Stunden zeigen.
Baseline: Drei Messungen pro Woche als Anfang
Um die persönlichen Ausgangs- und Vergleichswerte zu kennen, wären tägliche Messungen für eine Trainingskontrolle am aussagekräftigsten. Vielen fällt es am Anfang jedoch schwer, jeden Morgen den Brustgurt umzulegen und zu messen. Für all jene, die nicht jeden Tag Sport treiben, hat Professor Hoos zum Schluss noch einen guten Hinweis: “Es gibt Studien (z. B. Plews et al., 2014), die aussagen, dass bereits drei Messungen in der Woche für ein Trainings-Monitoring gut geeignet sind.”