Normalerweise ist es der Herzschlag, der Auskunft über die Herzratenvariabilität (HRV) gibt und Rückschlüsse auf die Aktivität des Parasympathikus ermöglicht. Mehr oder weniger komplizierte Mess-Systeme sind dafür nötig, um die Millisekunden zwischen den einzelnen Herzschlägen auszuwerten.
Dass für eine schnelle Beurteilung die Stellung des Zäpfchens am Gaumenbogen ausreichen soll, liest sich im ersten Moment als zu simpel, um wahr zu sein. Allerdings habe ich mittlerweile gelernt, dass bei neurologischen Untersuchungen die Beurteilung der Gaumenmuskulatur ein Teil des Standardumfangs ist.
Entdeckt habe ich den sogenannten Vagus-Test im Buch “Der Selbstheilungsnerv” von Stanley Rosenberg, einem Körpertherapeut aus Dänemark. Er kam wohl während seiner Cranio-Sacral-Ausbildung bei Alain Gehin mit dieser Testmethode in Berührung. Laut Rosenberg findet man den Vagus-Test in älteren Lehrbüchern für Anatomie und Physiologie, und an medizinischen Hochschulen in Dänemark wird er immer noch gelehrt.
Der Vagus-Test
Mund auf, Zunge raus! Für den Vagus-Test müssen Sie den weichen Gaumen mit dem Zäpfchen anschauen. Das gelingt am besten, wenn man den Mund weit öffnet und die Zunge etwas heraushängen lässt, bis der hintere Rachenraum sichtbar ist. Eine kleine Taschenlampe oder die Lampenfunktion am Smartphone können bei der Beurteilung hilfreich sein.
Stanley Rosenberg beschreibt in seinem Buch (Seite 135) noch eine interessante Erfahrung:
“Zeigt die Überprüfung eine Fehlfunktion des Muskels, beobachte ich beim Klienten meist auch eine unregelmäßige, etwas schnelle und nicht besonders tiefe Atmung.”
Zusammenhang zwischen Vagus und Gaumenbogen
Der wichtigste Nerv des Parasympathikus ist der Vagus-Nerv, der zehnte Hirnnerv. Weit über die Hälfte der parasympathischen Leistung geht von ihm aus. Der Einfluss des Vagus ist deshalb so groß, weil sich sein Nervengeflecht über weite Teile des Körpers erstreckt, weshalb er auch als Vagabunden-Nerv (lat. vagari: umherschweifen) bezeichnet wird. Seine Verzweigungen bilden Nervengeflechte um Herz, Lunge und große Teile des Bauchraums. Parallel arbeiten seine Äste mit vier anderen Hirnnerven (V, VII, IX und XI) zusammen. Sie besitzen neben motorischen, sensiblen und sensorischen Anteilen auch parasympathische Anteile.
Bei dem Vagus-Test wird eine dieser Verzweigungen des Vagus für die Einschätzung genutzt: der Rachenast oder Nervus glosspharyngeus (IX. Hirnnerv). Seine Nervenfasern ziehen zum weichen Gaumen und Rachen. Er ist unter anderem auch für den Gaumensegelheber (Musculus levator veli palatini) zuständig.
Eine anatomische Erklärung des Vagus-Tests ist also, dass der Muskel am Gaumensegel auch eine Verbindung zum Vagus hat.
Ein paar Hintergründe zum Vagus-Test
Regelmäßige Leser und auch Kenner der Polyvagal-Theorie werden sofort erkannt haben, dass es sich bei dem Test um eine Beurteilung des vorderen Vagus-Astes handelt. Er steht für eines der drei Reaktionsmuster, die in der vieldiskutierten Theorie beschrieben werden.
Eine gestörte Funktion würde bedeuten, dass vermehrt der Sympathikus oder der hintere Vagus die Steuerung übernimmt.
Die Verbindung zu Stephen Porges, dem Begründer der Polyvagal-Theorie, ist offensichtlich. Immer wieder nimmt Stanley Rosenberg darauf Bezug und erzählt von gemeinsamen Erlebnissen. Beispielsweise wie sie den Vagus-Test mit einer großen Gruppe von Psychologen ausprobierten.
Er schreibt dazu in seinem Buch (Seite 138):
“Sie sollten lernen, vor und nach verbalen Interventionen festzustellen, ob ihre Klienten sozial zugewandt waren oder nicht – das half ihnen eventuell, das Verhalten und den emotionalen Zustand ihres Klienten aus der Sicht der Polyvagal-Theorie besser zu verstehen. Sie konnten auch beurteilen, ob ihre Klienten die Funktion des autonomen Nervensystems verbessern mussten und, ebenso wichtig, ob die Intervention im Sinne der Polyvagal-Theorie erfolgreich war. Die Möglichkeit einer Überprüfung vor und nach einer Sitzung weckte ihr Interesse.”
Eigene Erfahrungen mit dem Vagus-Test
Mit Erfahrungswerten muss ich leider passen. Ich habe ein paar Experten angeschrieben und fast gar nichts zu dem Test in Erfahrung bringen können. Vielleicht habe ich nur nicht die richtigen Ansprechpartner gefunden. Wenn es jemanden da draußen im World-Wide-Web gibt, der Erfahrungen beisteuern kann, würde ich mich über Ergänzungen und Anmerkungen freuen.
Mit diesem Beitrag möchte ich auch alle anderen Leser dazu aufrufen, den Test auszuprobieren, und meinen Lesern und mir über die Erfahrungen zu berichten. Am besten einfach die Kommentarfunktion dafür verwenden.